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Bildung zu Hause – für Anfänger Teil 2

von Karen Kern

Selbstbestimmte und selbstorganisierte Bildung

Selbstbestimmte und selbstorganisierte Bildung bei jungen Menschen findet größtenteils informell, also ungeplant, im Alltag fast nebenher statt, in Gesprächen, beim Spielen, Fernsehen, Computerspielen, Einkaufen, Spazieren gehen, Kochen, auf Reisen, Freunde besuchen, ins Museum gehen, Vorlesen und bei vielen anderen Tätigkeiten und Situationen. Bei jüngeren Kindern, die im Alltag noch eng an die sie begleitenden Erwachsenen gebunden sind, bekommen die Eltern (oder die anderen Begleiter*innen) noch viel mit, was die Kinder täglich erleben, bei den älteren dann meist nicht mehr so viel.

In der Fachliteratur wird das Lernen mit einem Eisberg verglichen: der sichtbare Teil über der Wasseroberfläche entspricht dem formalen Lernen (geplante institutionelle Bildung), der unsichtbare unter der Wasseroberfläche dem informellen Lernen. In meinen Augen verhält es sich ähnlich mit der Wahrnehmung des Lernens bei jungen Menschen, die selbstbestimmt und selbstorganisiert lernen. Es wird außerdem angenommen, dass insgesamt mindestens 70% des Lernens informell stattfindet, manche Autor*innen bzw. Wissenschaftler*innen nehmen an, dass es sogar 90 % sein können.[1] Über Jahrtausende hinweg war das informelle Lernen die Form des Lernens der Menschen. Erst seit Einführung der Schulpflicht (in einigen Teilen Deutschland schon im 15. und 16. Jahrhundert) hat eine Änderung begonnen und heute wird in den industrialisierten Gesellschaften meist ohne Nachdenken Lernen mit schulischem Lernen gleichgesetzt.

Junge Menschen, die sich weigern weiterhin in der Schule zu lernen, geben als Gründe für ihre Weigerung häufig an, dass sie nicht in dem ihnen aufgezwungenen Takt und die ihnen aufgezwungenen Themen lernen wollen. Sie wollen ihre Bildung zumindest mitbestimmen. Wenn der Wechsel dann stattgefunden hat und sie von zu Hause aus lernen, dann wollen diese jungen Menschen häufig nicht mit Schulmaterialien lernen und lehnen oft auch die schulischen Fächer und deren Inhalte ab. Letzteres ist bei jungen Menschen, die nie in der Schule gelernt haben, selten der Fall.

Fangen junge Menschen nach einer mehr oder weniger langen Schulzeit an, zu Hause zu lernen, haben wir die Erfahrung gemacht, dass sie eine Phase der „Entschulung“ brauchen, bis sie wieder wissen, was sie interessiert und was sie machen wollen. Diese Zeit kann ein paar Wochen dauern, mehrere Monate und in wenigen Fällen auch mehrere Jahre.

Unsere Erfahrung ist ebenfalls, dass Schule zu Hause in der Regel nicht oder nur für kurze Zeit funktioniert. Das kann für Eltern, die Lernen nach Plan bevorzugen, heißen, sich von dieser Vorstellung eventuell sogar recht bald zu verabschieden. Wenn geplantes Lernen für die Kinder in Ordnung ist, dann braucht es auch keine Änderung.

Alan Thomas hat in seiner ersten Studie „Bildung zu Hause – eine sinnvolle Alternative“ herausgefunden, dass in den meisten Fällen ein allmählicher Wechsel vom fremdbestimmten vorgeplanten strukturierten Lernen zu flexiblerer spontanerer unstrukturierterer Bildung stattfindet. Er schreibt, dass viele Eltern, wenn sie in Lehr- oder Lernsituation ihren Kindern gegenübersitzen, an den glasigen Augen ihrer Kinder gemerkt haben, dass es nicht sinnvoll möglich war, schulisch geplant und strukturiert weiterzumachen. Von den untersuchten Familien haben viele mit einer Art Homeschooling angefangen, ihren Kindern dann aber mehr Freiheit im Lernen gelassen, als sie gemerkt haben, dass das für ihre Familie nicht funktioniert hat.

Strukturiertes Lernen in schulischen Fachbereichen

Haben Eltern große Angst davor, dass ihre Kinder auf informellem Wege nur wenig oder nichts lernen, dann können Eltern Kompromisse mit ihren Kindern schließen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten und es ist sinnvoll, gemeinsam zu schauen, was für die Kinder passend ist und womit sich diese ohne Druck anfreunden können. Druck auszuüben, ist weder für die Beziehung noch für das Lernen sinnvoll. Hier ein paar Vorschläge:

  • Einmal pro Tag in Mathematik, Deutsch und in der Sekundarstufe I auch in Englisch etwas arbeiten (zeitlich kann hier natürlich variiert werden, es können ebenso gut zwei oder drei Tage pro Woche sein)
  • An einem Tag in der Woche Deutsch, an einem anderen Tag in der Woche Mathematik machen
  • Sachkundliche, naturwissenschaftliche oder gesellschaftswissenschaftliche Themen projektartig lernen und regelmäßig an einem oder zwei solcher Projekte arbeiten

Wichtig ist hier meines Erachtens, mit den Kindern zu klären, für was sie bereit sind, ob sie sich vorstellen können Mathe, Deutsch und Englisch zu machen. Falls sie nicht bereit sind, mit Arbeitsheften zu lernen, findet man immer auch noch andere Möglichkeiten, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Die Lernbegleiter*innen von Kern-Bildung können hier weiterhelfen.

[1] z.B. Fauré Studie der UNESCO von 1972 oder: Günther Dohmen „Das informelle Lernen“ bpb

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