Prüfungen schreiben – geht das mit einem offenen Schreiblernprozess
Kommen die jungen Menschen zu unserer Bildungsbetreuung „Kern-Bildung“, um sich mit unserer Unterstützung auf einen externen Schulabschluss vorzubereiten, sind gerade diejenigen, die in ihrem Leben noch nie einen Aufsatz geschrieben haben, oft sehr verblüfft, wenn sie von mir die Rückmeldung bekommen, dass sie die Prüfung sicher problemlos schaffen werden. Für die Hauptschulabschlussprüfung ist meist kaum Vorbereitung erforderlich und für die höheren Abschlussprüfungen kann es notwendig sein, sich die verschiedenen Textformen zu erarbeiten, aber die Grundlagen, auf die es ankommt, sind vorhanden. Übt euch im Vertrauen in die Lernfähigkeit eurer Kinder und erfreut euch dann daran, wenn plötzlich etwas sichtbar wird. Unser jüngster Sohn war ein Jahr in der Regelschule, danach mehrere Jahre auf einer Freien Alternativschule und hat sich danach mehrere Jahre zu Hause gebildet. Sowohl in der Freien Alternativschule als auch zu Hause hat er nie viel geschrieben, hat sogar die Schreibschrift wieder verlernt. Dann war er mit 14 Jahren in England auf einer einwöchigen Schiffsreise auf einem alten Kutter, die eine unserer Home-Education-Gruppen organisiert hatte. Diese Schiffsreisen wurden von einer Wohltätigkeitsorganisation angeboten und waren sehr günstig. Eine Bedingung war allerdings, dass jeder Teilnehmer nach der Reise einen Bericht darüber abgeben sollte. Unser Sohn hatte bis dahin weder auf Deutsch noch auf Englisch mehr als ein paar Sätze geschrieben und hatte den Eindruck, er könne so etwas auch nicht. Daher bat er mich, ihn dabei zu unterstützen. So verabredeten wir uns an einem Morgen in der Küche, um diesen Text zu erstellen. Ich fing an, Vorschläge zu machen, was denn da rein könnte. Und Josias fing fast zeitgleich an zu schreiben, ohne mir auf irgendwas zu antworten. Nach kurzer Zeit meinte er, ich könne ihn das alleine machen lassen, er brauche jetzt meine Hilfe doch nicht. Auf Anhieb hatte er dann in einer Fremdsprache einen Text zusammengestellt, der kaum Fehler enthielt und sich richtig gut und spannend las. Es war nicht so, dass mich vorher in diesem Bereich die Angst plagte, aber danach hatte ich keinerlei Bedenken mehr.
Exkurs – Normierung der Orthographie
Die „richtige“ Schreibweise hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Dabei scheinen verschiedene Aspekte immer wieder in Vergessenheit zu geraten. Erstens handelt es sich bei den „richtigen“ Schreibweisen um Vereinbarungen, die man so festlegen kann – oder auch ganz anders, wie nicht zuletzt die Rechtschreibreformen gezeigt haben. Zweitens, dass Sprache und Schreibweise ständigen Änderungen unterliegen, ja sich erst 1876 in der „Konferenz zur Herstellung größerer Einigung auf dem Gebiet der deutschen Orthographie“ hier eine Einigung zu einer einheitlichen Schreibweise stattgefunden hat. Beispielsweise hat Luther innerhalb seiner Bibelübersetzung teilweise für dasselbe Wort über ein Dutzend verschiedene Schreibweisen verwendet.
Der Sprachwandel ist sicher den meisten bewusst, z.B. durch immer wieder neue Jugendsprache, wovon dann einiges in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht und sich dadurch ändert. Aber auch die normierte Rechtschreibung hat sich seit der ersten Konferenz 1876 immer wieder geändert, was dann in weiteren Konferenzen festgelegt wurde. Die letzte Reform war 1996, allerdings folgten darauf noch drei weitere Änderungen. Es sind übrigens für den Privatgebrauch unverbindliche Regeln, die Bürger sind nicht verpflichtet, sich an diese Regeln zu halten, außer Schülern, Studenten und den Menschen, die für den Staat arbeiten. Dass man sich auf die „richtige“ Schreibweise in der deutschen Sprache bis heute nicht wirklich einig ist, zeigen auch die verschiedenen Regelungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Lesen und schreiben in Freilerner-Familien
Was bedeutet dies nun für den Alltag bei Freilernerfamilien? Es gibt viele, viele Materialien, um sich mit Schrift zu beschäftigen. Viele junge Menschen finden es spannend, mit Magnetbuchstaben Wörter zu legen, Sätze zu stempeln, Buchstaben aus Salzteig zu formen oder die verschiedensten Aufgaben aus Lese- und Schreibheften durchzuarbeiten. Wenn der junge Mensch Spaß daran hat, auf diese Weise mit Buchstaben und Schrift zu arbeiten, dann kann man sich hier eine Auswahl zulegen. Diese Vielfalt ist aber nicht notwendig. Gerade fürs Schreiben reichen Stift und Papier, eine Tafel oder der Sandkasten. Viel wichtiger als die Materialien ist allerdings unser Umgang als Eltern mit der Schrift, unsere eigene Haltung zu Geschriebenem und Büchern. Ist Schrift für uns nur dazu da, um den Alltag zu bewältigen? Brauchen wir es vor allem im Beruf? Oder lieben wir Geschriebenes, weil wir darüber andere Welten erleben und erkunden können? Es macht einen Unterschied, ob junge Menschen ihre Eltern oder andere ihnen nahe stehende Menschen immer mal wieder mit einem Buch erleben, oder durch Zeitung und Internet lesend die Welt erkundend, als wenn diese sich nie damit beschäftigen. Natürlich hat es keinen Sinn sich zu verstellen, wenn man selbst nicht gerne liest. Dann kann man aber regelmäßiges Vorlesen dazu nutzen, mit seinem Kind zusammen in Geschichten zu versinken und Themen zu erkunden, sich darüber auszutauschen, ins Philosophieren oder Weiterspinnen zu kommen und gleichzeitig die körperliche Nähe zu genießen. Nach Studien über Kinder im Grundschulalter fördert regelmäßiges Vorlesen das Leseverhalten nachhaltiger als alles andere. Regelmäßiges Lesen von Büchern oder anderen Texten, und damit immer wieder das Schriftbild verschiedener Wörter und den Aufbau von Sätzen vor Augen zu haben, fördert wiederum das Gespür für die „richtige“ Schreibweise und für eine gute Ausdrucksfähigkeit.
Lasst eure kleinen Kinder verschiedenste Stifte benutzen, lasst sie damit herumkritzeln. Buchstaben formen sich dann irgendwann von selbst. Habt Spaß daran, diese Buchstaben und Buchstabenfolgen dann zu entziffern. Es ist immer eine Freude, wenn die Kinder wild drauflosschreiben und zu uns kommen und wissen wollen, was sie denn geschrieben haben: „chrfzxruf“ oder „ausbppal“. Schrift verbindet, auch schon in den Anfängen, wenn es zu wildem Gelächter bei diesen Wortgetümen kommt. Vor ein paar Jahren haben wir mit unseren Enkeln in Schweden ein Skype-Gespräch geführt – der Ältere ist gerade intensiv dabei, sich die Schriftsprache zu erarbeiten. Wir haben herzlich über „Pups“ gelacht, was unser Enkel gerade das tollste Wort der Welt findet und genauso über die Ungetüme unserer Enkeltochter, die unlesbare „Bandwurmwörter“ zusammengestellt hat.
Ja, Schrift verbindet! Gerade der Schreiblernprozess hat in Freilernerfamilien zum Teil etwas so selbstverständliches, dass man die einzelnen Schritte fast vergisst. Da werden Notizen und Listen gemacht, Briefchen oder Postkarten geschrieben, Bilder beschriftet, kurze Ein-oder-zwei-Satz-Geschichtchen geschrieben, Erlebnisse aufgeschrieben. All das gehört zum Alltag und wird oft gar nicht mehr als Lernprozess wahrgenommen. Einige Kinder fangen schon in jungen Jahren an, Geschichten oder sogar Romane zu schreiben, andere schreiben nur selten etwas auf. Einige machen gerne Übungen aus Deutscharbeitsheften und nehmen die Aufsatzaufgaben daraus als Schreibanregungen, andere nicht. Die Häufigkeit des Schreibens ist nicht wichtig für die spätere schriftliche Ausdrucksfähigkeit. In Freilernerfamilien wird meist viel gesprochen und diskutiert. Dies trägt meiner Erfahrung nach wesentlich dazu bei, dass junge Menschen sich auch schriftlich gut ausdrücken können.
Exkurs Rechtschreibung
Ich schließe nicht aus, dass es junge Menschen gibt, ob diese nun in der Schule oder zu Hause lernen, die sowohl beim Schriftspracherwerb als auch beim Erlernen der normgerechten Rechtschreibung Unterstützung brauchen. In den Lehrplänen und in der Schule wird dieser Punkt in meinen Augen allerdings stark überbewertet. Ich habe in den letzten Jahrzehnten bei jungen Menschen beobachten können, dass sich deren Rechtschreibung im Alter zwischen 15 und 18 Jahren festigt und sie ab diesem Zeitpunkt kaum oder nur wenige Fehler im alltäglichen Schreiben machen, egal ob sie sich in der Schule bildeten oder zu Hause, ob nun mit viel Rechtschreibübungspraxis oder wenig. Mein Eindruck ist, dass sich in dieser Zeit im Gehirn etwas sortiert, denn auch junge Menschen, welche vorher große Schwierigkeiten mit Rechtschreibung hatten, beherrschten diese nun weitaus besser. Meines Erachtens ist es allerdings utopisch, zu glauben, dass jeder junge Mensch bis zum Erwachsenenalter die Rechtschreibung perfekt beherrschen wird, was gegenwärtig sicher auch nur auf wenige zutrifft, machen doch die meisten Erwachsenen hin und wieder Fehler.
In Deutschland haben wir trotz Schulpflicht seit Jahren über 7 Millionen mindestens funktionelle Analphabeten. Der Großteil von ihnen hat die Schule mit ihrem regelmäßigen Rechtschreibunterricht durchlaufen. In einer Welt, die von Schrift beherrscht wird, sind diese Menschen von wesentlichen Bereichen unserer Gesellschaft ausgeschlossen. Dieses Wissen im Hinterkopf lässt viele Eltern ängstlich reagieren, wenn ihre frei sich bildenden Kinder mit acht Jahren oder sogar noch später die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens noch nicht gemeistert haben. War man über Jahrhunderte hinweg fast ausschließlich darauf angewiesen, Lesen zu können, um sich zu bilden, hat sich doch mit der Entwicklung der neuen Medien die Situation wesentlich vereinfacht, sich auch schon vor dem Erlernen dieser Fähigkeiten Informationen anzueignen. Fernsehen und Internet bieten eine große Fülle an Informationen, die zu einem guten Teil auch ohne Kenntnis der Schriftsprache zugänglich sind.
Beobachtungen an Sudbury-Schulen und die Ergebnisse der Studie über den Schriftspracherwerb von Harriet Patisson lassen vermuten, dass unsere Gesellschaft in Bezug auf das „richtige“ Alter und die richtige Art der Aneignung beim Schriftspracherwerb einiges überdenken sollte. Junge Menschen, die selbstbestimmt lernen, beginnen nicht alle zum gleichen Zeitpunkt damit, Lesen und Schreiben zu lernen. Auch wenn der größte Teil der selbstbestimmt Lernenden zwischen 7 und 8 Jahren damit anfängt, ist doch die Alterspanne gewaltig, in der junge Menschen damit beginnen, manche schon mit zwei Jahren, andere erst mit 13 oder sogar 14 Jahren. Im schulischen Kontext geht man davon aus, dass ein junger Mensch, der bis zu diesem Alter noch nicht Lesen gelernt hat, dies wahrscheinlich nie richtig lernen wird. Darüber hinaus setzt der weitere Schulunterricht ab etwa der dritten Klasse die Beherrschung der Schriftsprache voraus, so dass Schüler, die diese dann noch nicht beherrschen, fast sämtliche Aufgaben nicht bearbeiten können – so dass in der Schule der Abstand immer größer wird und nie wieder aufgeholt werden kann. Bei selbstbestimmt Lernenden ist – auch wenn sie erst „spät“ Lesen lernen – oft schon nach kurzer Zeit kein großer Unterschied mehr im Vergleich zu gleichaltrigen „frühen“ Lesern festzustellen. Harriet Patisson fand heraus, dass es nicht eine oder wenige bestimmte Arten gibt, wie junge Menschen Lesen und Schreiben lernen, sondern eine große Bandbreite verschiedenster Wege. Es gibt z.B. viele junge Menschen, die ganz spontan anfangen zu lesen, bei denen keiner vorher gemerkt hat, dass sie sich überhaupt damit beschäftigen. Sie lesen einfach los. Bei anderen gibt es ähnliche Prozesse zu beobachten wie bei meinen Kindern. Und dann gibt es auch noch diejenigen, die gerne mit einem Leselernbuch Lesen lernen und damit in die Buchstabenwelt hineinfinden.
Meine Kinder fingen zwar schon lange vor der Schulzeit an, sich mit Schrift zu beschäftigen, aber es gab keine kontinuierliche Auseinandersetzung damit. Es gab Phasen, in denen sie sich intensiv damit beschäftigten, fast den ganzen Tag Buchstaben malten o.ä., mal waren das zwei Wochen am Stück, mal mehrere Wochen, und dann gab es lange Phasen, oft Monate, in denen Schrift außer beim abendlichen Vorlesen keine Rolle spielte. Erstaunt stellte ich immer wieder fest, dass sie nach den Zwischenzeiten, in denen sie nicht „übten“, plötzlich Sachen konnten, die sie vorher noch nicht beherrscht hatten. Es schien, als ob sich im Gehirn in diesen „Ruhephasen“ einiges sortiert und gefestigt hatte.
Orthographisch richtiges Schreiben entwickelte sich über mehrere Jahre hinweg. Nun könnte man einwenden, dass meine Kinder fast alle in der Schule auch den Rechtschreibunterricht mitbekommen haben. Dennoch beobachtete ich schon vor der Schule, dass sie ein Bewusstsein entwickelten, dass es jeweils eine festgelegte normgerechte Schreibweise gibt, denn es kam oft vor, dass sie nachfragten, wie ein Wort denn „richtig“ geschrieben wird. Die Erkenntnis, dass es heutzutage (im Gegensatz zur Situation vor 1876 – siehe Kasten „Normierung der Orthographie“) eine festgelegte Schreibweise gibt, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum orthographisch richtigen Schreiben. Junge Menschen wollen sich dies aneignen. Es braucht nur seine Zeit, in der sie immer wieder ihr Schriftbild mit der richtigen Schreibweise vergleichen, auch wenn dies sicher nicht in jeder Schreibsituation der Fall ist.
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